Das denkt Professor Dr. Hans-Jürgen Schulke über eSport!

Was genau ist eSport?

Was genau ist eSport?

Yolawo: Hallo Hans-Jürgen, wir freuen uns, dass du uns als Experte rund um das Thema eSport zur Verfügung stehst. Kannst du unseren Lesern kurz erklären, was der eSport eigentlich ist und was du zu diesem Thema denkst?

Professor Dr. Schulke: Zunächst einmal stimmt es, dass ich den eSport mit einer großen Leidenschaft verfolge. Das Wort Leidenschaft trifft es wirklich gut, denn man kann begeistert von dem sein, was man an digitaler Spielkompetenz erlebt, muss aber trotzdem als spielbegeisterter Sportler leiden, wenn dieser Hype pauschal als Sport bezeichnet wird. Ich bin persönlich kein aktiver E-Gamer. Trotzdem wusste ich, als ich 2015/16 die ersten Veranstaltungen im eSport miterlebte sofort, dass dort ein neuer Trend beginnt. Vorab: Der eSport ist  kein Sport im herkömmlichen Sinne. Es treten zwei Spieler oder Mannschaften virtuell auf Konsolen gegeneinander an. Die somatische und soziale Komponente ist  nahezu unwichtig. Es ist aber anerkannt, dass digitales Spielen die Fingerfertigkeit und Koordination fördert. Nicht ohne Grund nutzen auch Ärzte in ihrer Ausbildung Videospiele. Die wettkampforientierte Form der Spiele gibt es seit knapp 40 Jahren. Umfassend  entwickelt und etabliert hat sich dieser eSport erst, aus Asien durch große Konzerne kommend, in den letzten Jahren. Wenn man als Spieleunternehmer effektiv denkt, wie mehr Förderung stattfinden kann, kommt man schnell auf das etablierte System “Sport”. Also beansprucht man den gemeinnützigen Sport-Status für sich und will sogar olympisch werden. Und durch die Rückendeckung der Politik hat zumindest die Anerkennung als Sportart beinahe geklappt. Als die große Koalition im Jahr 2018 entschied, den eSport zu fördern und als Sportart anzuerkennen, habe ich gelitten. Das war ein massiver Eingriff ins autonome Sportsystem, das von Millionen Freiwilligen getragen wird.

Yolawo: Zwischen welchen Arten von Games unterscheidet man beim eSport?

Professor Dr. Schulke: Vorab sind Computerspiele bei aller Beliebtheit mit vielen gesundheitlichen, psychischen, sozialen und finanziellen Risiken verbunden. Dennoch sollte man Videospiele nicht grundsätzlich ablehnen, sondern differenzieren. Denn die sogenannten “Serious Games” haben pädagogische Wirkungen, bieten eine einfache Form, historische, mathematische oder landwirtschaftliche Zusammenhänge zu verstehen. So bietet “Assassin’s Creed” die Möglichkeit, zum Beispiel ins alte Griechenland einzutauchen. Ein Management-Sportspiel eröffnet taktische und ökonomische Zusammenhänge. Auf der anderen Seite sind da “Shooter Games”. Diese gehören auch zum eSport, weil es in bestimmten Regeln um Sieg und Niederlage, Zerstörung von Lebensräumen und Vernichtung von menschenähnlichen Avataren geht. Oftmals haben diese Spiele einen offen kriegerischen Hintergrund mit simulierten Tötungshandlungen. Dementsprechend gibt es viele Diskussionen, ob man diese Art von Games als Sport klassifiziert. Der DOSB und  IOC haben früh gesagt, dass man klar differenzieren muss und nicht allen E-Sport pauschal als Sport bezeichnen darf, wie es die Computerspielindustrie fordert. Deshalb werden vom DOSB auch nur Sport-Simulationsspiele, wie zum Beispiel FIFA-Football, Eishockey, Basketball, Autorennen oder ein Segel-Simulator als Sportartergänzungen aufgenommen.

Solltest du den eSport in deinen Verein integrieren?

Yolawo: Warum sollten Sportvereine den eSport mit in ihr Angebot aufnehmen? Welche Chancen und Risiken gibt es?

Professor Dr. Schulke: Zuerst sollte man eine Grundhaltung zum Thema entwickeln. E-Sport ist kein Teufelszeug. Es handelt um viele Menschen, die gern Spiele spielen. Situationswechsel, Schnelligkeit und Präzision faszinieren, 500 Klicks pro Minute sind sehr gute, koordinative Leistungen. Allerdings etwas komplett anderes, als mit zehn weiteren Mitspielern auf dem Rasen Fußball zu spielen. Der Austausch mit Vereinsmitgliedern ist nicht mehr zwingend. E-Sport könnte als Sportsimulation Ergänzung sein etwa bei Fahrten oder im Trainingslager. Wenn man über eine neue Abteilung nachdenkt, wird schnell klar, dass Kosten eine Rolle spielen. Denn die Lizenzen für die jeweiligen Spiele und das Equipment sind aufwendig . Für den Verein wird es  dann problematisch, wenn er ungeprüft auf einen medialen Hype aufspringt, sich neue Sponsoren und Mitglieder erhofft. Zunächst ist wichtig, ob man schon Mitglieder im Verein hat, die sich vielleicht einmal in der Woche zum Spielen treffen wollen. Wenn die Gruppe groß und engagiert ist und in Wettkämpfe einsteigen will, kann man sich um Förderung des eSports etwa über klassisches Sponsoring bemühen bei Elektronikhändlern, Finanz- und Gesundheitsdienstleistern. Der größte Fehler wäre, seinen Markenkern für den eSport aufzugeben. Das Wort “Sportverein” bedeutet traditionell, die Förderung der eigenen Gesundheit, der Geselligkeit oder Wettkämpfen mit anderen Menschen zu organisieren. Denn unser Sportverständnis prägt das Fairplay und die Hilfestellung. Überall dort, wo es nicht eingehalten werden kann, sollte man wie bei den Shooter-Spielen mit Tötungshandlungen eine klare Grenze ziehen. Vielleicht werden eSportler sich mit den Werten des Sportvereins nicht identifizieren können, ihn altmodisch finden und lieber im Internet hin und her surfen, ohne sich zu binden.

Es gibt auch Chancen bei einem durchdachten eSport-Einstieg. Er kann seine soziale Kultur bereichern, indem Familien angesprochen werden oder ältere Mitglieder (sog. Silver Gamer). Einen guten eSportler mit Glasknochen kann man nicht auf den Fußballplatz schicken, aber an die Konsole. Auch geistig behinderte Menschen können vom eSport profitieren, denn sie erlangen z.B. bei FIFA 21 ein besseres Taktik- und Raumverständnis. Rollstuhlfahrern oder Demenzgefährdeten, Langzeitverletzten bietet der eSport Möglichkeiten in der Gruppe aktiv zu sein.

Yolawo: Welche Erfolgsbeispiele innerhalb von Vereinen kennst du beim eSport?

Professor Dr. Schulke: Es gibt in diesem Bereich natürlich Erfolgsbeispiele. Allerdings sind diese rar gesät und keinesfalls die Regel. Seit 2017 gibt es den ESBD – den eSport-Bund Deutschland, welcher aktuell 68 Vereine und Organisationen vertritt, die Mehrzahl sind Wirtschaftsunternehmen. Sein Bemühen, den eSport auf Vereinsebene zu etablieren, ist vorhanden. Vereine bei der Neugründung oder Trainer in der Qualifizierung werden beraten. Doch befindet sich das bei dem kleinen Verband am Anfang. Viel umfassender hat der DFB die Entwicklung des E-Footballs aufgegriffen und integriert. das Beispiel des Bayerischen Fußballverbandes zeigt etwa 400 Amateurvereine, die wettkampfmäßig ergänzende Pokalturniere machen. In der DFL sind die Mehrzahl der Vereine zusätzlich im E-Football aktiv. Natürlich weiß man auch dort, dass der eSport ein wirtschaftliches Feld sein kann. Die Konsolen, die ständig neuen Spiele, große Veranstaltungen und TV-Lizenzen, die Wetten auf den eSport – wir bewegen uns im dreistelligen Milliardenmarkt. Die DFL hat  schnell eine Nationalmannschaft gegründet. Andererseits hat Schalke 04 seine Lizenz für den Vorreiter LoL zurückgegeben, andere reduzieren ihre Aktivitäten. Insgesamt scheint es, dass der Hype nicht so eingetreten ist wie erhofft. Viele Leute verfolgen den eSport mit Interesse, laufen aber deshalb nicht scharenweise aus den Fußballstadien. Ein weiterer Bereich sind die Hochschulen. Um die junge Zielgruppe zu locken, wurden von der Spielindustrie gezielt Botschafter installiert. Auch hier ist kein Hype eingetreten, das Thema bei den Studierenden eher Randnotiz oder Hausaufgabe. Nach Corona wird sich zeigen, ob es eher zurück in die Natur geht.

Das Fazit unseres Experten:

Professor Dr. Schulke: Zunächst den eSport nicht pauschal ablehnen. Es gibt Gründe, E-Gaming ergänzend zum Sportbetrieb anzubieten. Kein Verein sollte dafür den Markenkern aufgeben, um auf einen Hype aufzuspringen. Die Entwicklung zeigt, dass der eSport sich, besonders in den letzten zehn Jahren, enorm entwickelt hat. Aber alles kann  schnell vorbei sein, wenn eine neue Medien-Technologie kommt. Sich nur auf den eSport zu stützen, wäre nicht solide. Hybride Formen (z.B. ein Mix aus “echtem” Vereinssport als Basis und eSport in Sportartenanimationen als Ergänzung) sind für Sportvereine diskutabel. Flächendeckende Verbreitung des E-Sports in Deutschland mit allen (!) Spieletiteln in bestehenden Vereinen ist undenkbar; hier müssten E-Sportler ihre eigene digitale Organisationsform entwickeln.

Über den Experten:

Professor Dr. Hans-Jürgen Schulke wurde 1945 in Naumburg an der Saale geboren. Schon früh in spielte er in seiner Jugend Handball in der Hamburger Auswahl und errang als Mittelstreckenläufer zahlreiche Landesmeisterschaften. Beruflich gründete er 1995 das Institut für Sportmanagement und war als Hochschullehrer an der Universität Bremen tätig. Neben zahlreichen Publikationen rund um den Sport engagiert sich Prof. Dr. Schulke auch ehrenamtlich in vielen Vereinen. Den kompletten Lebenslauf von “Hajo” Schulke findet ihr auf seiner Wikipedia-Seite. Er hat außerdem viele Bücher geschrieben. So wirkte er unter anderem am “Phänomen E-Sport” mit und hat zahlreiche Artikel zum E-Sport veröffentlicht.

So erreiche ich den Experten:

Du erreichst Professor Dr. Schulke über seine Homepage.

Wissenswert:

In unserem Blog verraten wir dir auch, wie du deinen Sportverein fit für die Zukunft machst.

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